Kleine Taktikschule für Anfänger – Teil 1
Im Laufe eines Tennislebens begegnet man vielen Spielertypen. Tennis ist gerade deshalb so interessant, weil Spieler mit völlig unterschiedlichen Anlagen und Spielsystemen in einen fairen Wettkampf treten können. Der muskelbepackte Modellathlet kann von einem zarten Pflänzchen besiegt werden, wenn das Pflänzchen taktisch klug vorgeht. Stets gilt es herauszufinden, wie die eigenen Stärken und Schwächen zu denen des Gegners passen. Obwohl jede Situation, die es zu lösen gilt, einzigartig ist, gibt es ein paar wiederkehrende Muster, auf die man hier und da zurückgreifen kann. Dieser Thread soll euch als Anregung dienen, welche Mittel für die Lösung der gängigsten Spielsituationen in Frage kommen. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Von daher: Wenn ihr weitere, völlig andere Ideen zur Lösung einer bestimmten Situation habt, seid ihr herzlich eingeladen, eure Meinung kundzutun. Los geht’s!
Fall 1: Dein Gegner spielt mit mehr Power aber mit genauso viel Konstanz wie du.
Viele Spieler versuchen Power mit Power zu bekämpfen, ohne zu überlegen, ob dies eine erfolgversprechende Strategie ist. Falls dein Gegner mehr Härte in seinen Schlägen hat und noch dazu konstant ist, solltest du dich nicht auf ein Gebolze von der Grundlinie einlassen. Gegen diesen Spielertyp hilft es, sein Spiel zu variieren, um den Ball--zumindest teilweise--aus der optimalen Treffpunktzone des Gegners herauszuhalten. Variiere den Spin, die Winkel und die Länge deiner Schläge, um zu verhindern, dass dein Gegenüber in den Rhythmus kommt und seine krachenden Grundschläge ansetzen kann. Versuche einen Weg zu finden, um ans Netz zu kommen. Zum Beispiel könntest du einen langen Slice durch die Mitte spielen. Der flach abspringende Ball verhindert, dass dein Gegner richtig unter den Ball kommt. Die Platzierung des Balles erlaubt ihm zudem keinen guten Winkel zum Passieren.
Streu hin und wieder S&V und C&C ein, selbst wenn es nicht immer in einem Punktgewinn mündet. Mit deinem Aufschlag solltest du versuchen, deinen Gegner aus dem Platz zu treiben, damit er beim nächsten Schlag nicht so viel Zeit hat, sich optimal zum Ball zu stellen. Limitiere die Power in deinen Schlägen und konzentriere dich mehr auf die Platzierung der Bälle. Dadurch zwingst du deinen Gegner dazu, selbst die Power zu erzeugen. In der Folge ermüdet er schneller. Allerdings: Wenn du in der richtigen Position für einen Winner bist, solltest du nicht zögern und deine Chance nutzen. Die Kombination aus Variabilität, reduzierter Geschwindigkeit und gelegentlicher, plötzlicher Winner frustriert die meisten "Big-Hitter". Fehler schleichen sich in ihr Spiel ein und ein enges Match kann zu deinen Gunsten kippen.
Fall 2: Dein Gegner nagelt dich in deiner Rückhandecke fest. Du versuchst, Inside-out Vorhände auf seine Rückhand zu spielen, verlierst aber die Rallys.
Wenn du auf deiner schwachen Seite festgenagelt wirst, musst du die Richtung des Balles ändern. Falls die Vorhand deine bessere Seite ist, kann ein langer, inside-in geschlagener Topspinball (A) deinen Gegner eventuell dazu zwingen, cross-court zu spielen. Dann bekommst du das--dir gelegenere--Vorhand-Cross-Duell. Der Spin verhindert zudem, dass dein Gegner einen spitzen Winkel spielen kann, da er den Ball hoch nehmen muss. Du solltest den Richtungswechsel probieren, wenn der Ball näher in der Mitte landet. Dann hast du mehr Raum für deinen Schlag und die Distanz zur Vorhandecke ist geringer.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen spitzen Winkel mit deiner Inside-Out-Vorhand (B) zu probieren. Nimm etwas Tempo raus und versuche deinen Gegner dazu zu zwingen, den Ball unterhalb der Netzkantenhöhe zu nehmen. Dein Gegner muss den Ball dann liften und spielt in der Regel cross-court. Damit verschaffst du dir die Möglichkeit, einen Inside-In-Winner zu spielen. Du könntest aber auch longline mit einem Slice angreifen und ans Netz aufrücken während dein Gegner den weiten Laufweg quer über den Platz zurücklegen muss.
Eine dritte Option ist es, den Ball lang und mit sehr viel Topspin cross-court (C) zurückzuspielen. Wie reagiert dein Gegner auf diese hoch wegspringenden Bälle? Nimmt er sie früher oder weicht er nach hinten aus, um sie im Fallen zu nehmen? Wenn letzteres der Fall ist, kommt der Ball vermutlich etwas kürzer und / oder in einer höheren Flugkurve zurück. Dann solltest du aufrücken und den Punkt mit einem (Drive-)Volley beenden. Wenn er versucht, den Ball im Aufsteigen zu spielen, solltest du weitere Topspinbälle dieser Art probieren. Denn: Den Ball im Aufsteigen zu nehmen, geht mit hohem Risiko einher, sodass deinem Gegner früher oder später vielleicht ein Fehler unterläuft. Es sei denn, dein Kontrahent heißt Andre Agassi ;-)
Fall 3: Du spielst S&V und wirst von deinem Gegner rechts und links passiert. Oder: Dein Gegner spielt die Bälle vor deine Füße und du kannst nur einen defensiven ersten Volley spielen.
Wenn dein Gegner deinen Aufschlag gut ließt und dich dazu zwingt, schwierige Volleys zu spielen, solltest du öfter auf den Körper servieren. Dadurch raubst du ihn der Power und der Winkel. Vermutlich wird der Return deines Kontrahenten eher kurz ausfallen. Dann kannst du entweder sofort aufrücken und ihn mit einem Volley wegdrücken, oder du wartest und nutzt den kurzen Return für einen Angriffsball.
Außerdem kannst du die Geschwindigkeit, die Länge und den Spin deiner Aufschläge variieren, um dem Returnspieler keinen Rhythmus zu geben. Gut eignen sich auch Kick-Aufschläge, die mit viel Topspin und verringerter Geschwindigkeit gespielt sind. Das verschafft dir mehr Zeit, um in eine gute Position am Netz zu kommen. Der Returnspieler muss den Ball unangenehm hoch nehmen und kann ihn nicht mehr so leicht vor deine Füße spielen.
Fall 4: Dein Gegner spielt sehr konstant und deckt den Platz gut ab. Du riskierst mehr, doch dir unterlaufen Fehler bei deinen regulären Grundschlägen.
Wenn dein Gegner sehr laufstark ist und dich zu Fehlern zwingt, solltest du mit etwas mehr Höhe (d. h. mehr Spin) und weniger Geschwindigkeit über das Netz spielen. Anschließend stehen dir zwei Optionen offen: Entweder du versuchst, deinen Gegner links und rechts zu schicken, bis er müde wird. Dann musst du dich allerdings auf ein sehr langes Match einstellen. Oder du hältst Ausschau nach kurzen Bällen, um so oft wie möglich ans Netz zu kommen und die Punkte mit einem Volley zu beenden. Nimm Abstand von dem Versuch, die Punkte mit Winnern von der Grundlinie zu beenden. Konzentriere dich lieber auf die Platzierung deiner Schläge und komme auf kurze Bälle nach vorne.
Fall 5: Dein Gegner kann mit seiner Rückhand gute Winkel spielen und treibt dich damit aus dem Feld. Dir gelingt es nicht, deine Rückhand zu umlaufen, um deine starke Inside-Out-Vorhand anzubringen.
In diesem Fall musst du es deinem Gegner möglichst schwer machen, die spitzen Winkel zu spielen. Hierzu gibt es mindestens drei Möglichkeiten. Erstens: Spiel den Ball lang platziert in die Mitte (A). Möglicherweise ist dein Gegner jetzt gezwungen, eine Vorhand zu spielen. Auf jeden Fall aber kann er nicht mehr so leicht einen spitzen Winkel kreieren.
Zweitens: Probiere mit deiner Rückhand einen kurzen Slice die Linie entlang (B). Anschließend kannst du die offene Rückhandseite deines Gegners für einen Angriff nutzen.
Drittens: Spiele ihm den Ball mit viel Länge und Höhe auf die Rückhand (C). Mit einem hoch aufspringenden Ball kann er ebenfalls nicht mehr so leicht den Winkel kreieren.
Fall 6: Dein Gegner verfügt über einen sehr starken Aufschlag. Du kannst die Returns oft nicht lang genug zurückspielen, um den Punkt zu neutralisieren.
Gegen Spieler mit einem starken Aufschlag musst du versuchen herauszufinden, welche Richtung dein Gegner bevorzugt und dementsprechend deine Returnposition anpassen. Wenn er den Aufschlag durch die Mitte präferiert, verschiebst du deine Position etwas mehr zur T-Linie. Wenn er bevorzugt nach außen serviert, stellt du dich etwas weiter außen auf. Dadurch zwingt du ihn, sein Muster öfters zu durchbrechen und störst möglicherweise seinen Rhythmus. Sind die Aufschläge auf beiden Seiten gleich stark, kannst du hohe Returns auf seine Rückhandseite probieren. Damit gewinnst du etwas Zeit und er macht möglicherweise ein paar mehr Fehler. Solche Spieler bauen darauf, dass sie freie Punkte mit dem Aufschlag bekommen und sind schnell frustriert, wenn sie dazu gezwungen werden, jeden Punkt auszuspielen.
Fall 7: Ihr seid beide aggressiv von der Grundlinie, aber dein Gegner eröffnet sich hier und da ein paar mehr Angriffschancen als du und gewinnt ein enges Match.
Wenn dein Gegner früher ans Netz kommt als du, solltest du mehr Winkel spielen, um ihn dazu zu zwingen, von außerhalb der Seitenauslinien ans Netz aufzurücken. Länge ist die beste Waffe, die du hast. Streu einige hohe Bälle ein, um deinen Gegner aus der Balance zu bringen und halt Ausschau nach einer Chance, selbst ans Netz zu kommen. In einem engen Match zweier gleich starker Grundlinienspieler könnte es sich auszahlen, früher nach vorne zu kommen als dein Gegner. Sei bereit! Spiele C&C, wenn du die Möglichkeit dazu hast. Lass dich nicht demotivieren, auch wenn die Ausbeute durchwachsen ist.
Verstehe diese Fälle als Anregung, aber lerne sie nicht auswendig. Jedes Match ist individuell und jedes Mal musst du neue Lösungsansätze kreieren. Möglicherweise fallen dir sogar noch bessere Optionen als die hier genannten ein. Bleib dran für Teil 2 der kleinen Taktikschule (nächsten Freitag)!
Spindoc
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