Ana Ivanovic – Vorhand Videoanalyse
In der Fachpresse wird immer viel darüber geschrieben, wie radikal anders die Spieler von heute den Ball schlagen. Extreme Griffe, offene Fußstellungen, massiver Topspin und neuartige Ausschwungvarianten sind wohlbekannte Synonyme für das sogenannte "moderne" Tennis.
Gleichwohl all diese Eigenschaften auf bestimmte Spieler zutreffen, halte ich es für schlichtweg falsch, die Lehrmethoden der Vergangenheit (konservative Griffe, seitliche Stellung, Ausschwung über die Schulter) als unzeitgemäß abzutun. Zum einen sind Dinge wie der offene Stand und der Ausschwung über den Kopf keine neuartigen Erfindungen. Es gab sie schon früher, wenngleich auch nicht in der Häufigkeit, wie wir das heute sehen. Zum anderen erkennt man bei genauerem Hinsehen auch bei den heutigen Profis noch viele "klassische" Elemente, die angeblich "antiquiert" sind.
Ein Beispiel hierfür ist Ana Ivanovic. Die Serbin spielt eine Vorhand, die viele "klassische" und "moderne" Elemente in Einklang bringt. Für uns Normalsterbliche kann ihre Vorhand ein viel besseres Vorbild sein als die komplexen und körperbetonten Schläge eines Federers oder Nadals. Grund genug, der schönen Serbin einen eigenen Thread zu widmen, in dem wir uns diesen Schlag einmal genauer ansehen. Da man visuell am besten lernt, habe ich einige Videosequenzen eingebaut, die beim Verständnis meiner Ausführungen helfen sollen. Wie immer erhebe ich keinen Vollständigkeitsanspruch, weshalb eure Ergänzungen / Gegenmeinungen sehr willkommen sind. Viel Spaß!
Anas schöne Vorhand:
Was können wir von ihr lernen?
Was können wir von ihr lernen?
Griff
Klick!
Ivanovic ist ein Beispiel dafür, dass die konservativen Griffe noch nicht ausgestorben sind. Anas Handfläche befindet sich hinter dem Griff und ist nahezu parallel zur Schlagfläche. Damit befindet sie sich in guter Gesellschaft. Roger Federer, Radek Stepanek und Juan Martin del Potro spielen einen ganz ähnlichen Griff. Was haben alle diese Spieler gemeinsam? Ich würde sie alle als aggressive Spielertypen bezeichnen, die nah an der Grundlinie stehen und versuchen, ihre Gegner unter Druck zu setzen. Der Griff erlaubt ihnen, den Ball früh zu nehmen und offensiv zu spielen.
Doch was bedeutet das für uns? Sind konservative oder extreme Griffe für Freizeitspieler besser geeignet? Ich denke, das ist eine Frage des Spielstils, des Spiellevels und den persönlichen Präferenzen. Wir wissen, dass die konservativen Griffe i. d. R. mit einem ausgeglichenen, aggressiven Spielstil in Verbindung gebracht werden. Extreme Griffe werden hingegen eher mit defensiven Spielertypen assoziiert. Diese Spieler können ebenfalls kraftvoll schlagen, stehen aber typischerweise weit hinter der Grundlinie und agieren mit viel Spin.
Man sollte sich auch fragen, mit welcher Art von Bällen man in der Regel konfrontiert wird. Tendenziell erreichen Normalsterbliche wie wir bei weitem nicht so hohe Spinwerte wie die Profis, weshalb wir die Bälle auch nicht so hoch nehmen müssen. Für unsere Zwecke ist ein konservativer Griff wie der von Ivanovic meistens angebrachter.
Rückschwung
Wie andere Spieler/innen auch dreht Ana ihre Schultern
nach hinten und streckt den linken Arm zur Seite hin aus.
Das Racket gelangt weit hinter den Körper.
Gleich nachdem sie Schultern und Füße gedreht hat ("Unit Turn"), nimmt Ana ihre linke Hand vom Racket und streckt den Arm zur Seite hin aus. Bei manchen Schlägen streckt sie ihn komplett, bei anderen bleibt ihr Ellenbogen leicht gebeugt. Diese Variation ist möglicherweise nicht weiter von Bedeutung. In der Zwischenzeit bewegt sie ihre Schlaghand aufwärts. Wie hoch die Hand gelangt, hängt ganz vom Schlag ab. In der Regel bewegt sie sie bis auf Schulterhöhe oder leicht darüber, bei tiefen Bällen ist es etwas weniger. Wie die meisten Damen auf der WTA-Tour nimmt sie ihr Racket sehr weit nach hinten. Im hintersten Punkt ist der Schlägerkopf deutlich links vom Körper.
Ana lässt ihre Schlagfläche im Abschwung geöffnet.
Durch das Absinken des Schlägerkopfes gelangt sie
in die korrekte Schlagarm-Position.
Interessant ist, dass Ivanovic im Gegensatz zu vielen anderen Spieler(n)innen die Schlagfläche im Schwung nach unten nicht schließt. Ich habe nie verstanden, welchen Vorteil das extreme Schließen der Schlagfläche im Abschwung haben soll, wie es viele andere Profis praktizieren. Meiner Meinung nach wird das Erreichen der korrekten Schlagarm-Position dadurch nur erschwert. Wenn man wie Ivanovic die Schlagfläche im Abschwung geöffnet lässt, erreicht man die charakteristische Armposition mit dem gebeugten Ellenbogen und dem zurückgedehnten Handgelenk viel unkomplizierter. Man muss den Schlägerkopf einfach nur absinken lassen. Diese Einfachheit hilft einem, die richtige Armposition am Ende des Rückschwungs beständig zu erreichen.
Vorwärtsschwung
Wenn Ana ihr Racket abgesenkt und den tiefsten Punkt im Rückschwung erreicht hat, nimmt ihr Schlagarm die charakteristische "double-bend"-Haltung an: Ihr Ellenbogen ist zum Torso hin gebeugt und ihr Handgelenk ist zurückgedehnt. Dadurch gelangt der Schlägerkopf automatisch in die richtige Position für den Vorwärtsschwung. Der "double-bend" ist wichtig, um den Ball mit viel Power spielen zu können und so viel Spin wie nötig zu entwickeln. Präzision und Konstanz der Vorhand hängen unmittelbar davon ab.
Während des Vorwärtsschwungs bleibt der Ellenbogen
gebeugt und das Handgelenk zurückgedehnt. Durch
die Körperrotation gelangt das Racket zum Ball.
Anas Schlagarmhaltung bleibt bis zum Treffpunkt und kurz darüber hinaus intakt. Nur durch die Rotation ihres Torsos und durch das Liften des gesamten Schlagarms vom Schultergelenk aus bringt sie das Racket nach vorne zum Ball. Als Spieler sollte man ein Bild dieses Prozesses vor dem geistigen Auge haben. Das ist möglicherweise eines der wichtigsten technischen Elemente der Vorhand. Manchmal kann die Stärke der Handgelenksdehnung (und damit der Winkel zwischen Schläger und Unterarm) im Vorwärtsschwung etwas zurückgehen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Ana versucht, so entspannt wie möglich im Handgelenk zu sein. Die Bewegung ist dann die natürliche Konsequenz des Schwungs nach vorne.
Stand
Kraftvolle Vorhand aus dem offenen Stand:
Die Energie entwickelt sich von unten nach
oben und wird durch die sequentielle Rotation
aller Körpersegmente auf den Ball übertragen.
Viele ihrer Vorhände spielt Ana mit einer Variation des offenen Stands. Dieser erlaubt ihr eine ungehinderte Torso-Rotation, welche für zusätzliche Power sorgt. Entscheidend ist ihre gute Stellung zum Ball. Dem rechten Fuß kommt bei der Ausrichtung eine entscheidende Rolle zu. Der Ablauf ist folgendermaßen: Ihre Schultern drehen sich nach hinten, der linke Arm streckt sich zur Seite hin aus, der rechte Fuß wird hinter den Ball ausgerichtet und durch die Kniebeuge werden die Muskeln optimal vorgedehnt. Ihr Oberkörper ist aufrecht und genau mittig zwischen den Füßen. Dadurch bleibt sie im Gleichgewicht. So sieht eine perfekte Vorbereitung aus!
Mit dem offenen Stand kann Ana ihre Treffpunkthöhe
kontrollieren. Das Vordehnen der Muskeln im äußeren
Bein ist dabei entscheidend.
Der offene Stand ist aber nicht nur für die Power in ihren Schlägen wichtig, er hilft ihr auch dabei, ihre Treffpunkthöhe zu kontrollieren, wenn sie mit einem hohen Ball konfrontiert wird. Die Kniebeuge im äußeren Bein führt dazu, dass der Boden mit einer Gegenkraft reagiert. In der Folge strecken sich ihre Beine und Ana kann nach oben "explodieren". Es ist kein "Hineinspringen" in den Ball, was wir sehen, sondern ein "Abheben". Wenn man den richtigen Stand einnimmt, die Muskeln vordehnt und nach oben zum Ball schwingt, geschieht das Abheben ganz automatisch.
Kurze Bälle spielt Ana aus dem seitlichen Stand.
Das Momentum ist hier stärker vorwärts gerichtet.
Daneben kann Ana aber auch problemlos aus dem seitlichen Stand spielen. Das ist typischerweise der Fall, wenn die Bälle kürzer und niedriger sind. Der Energietransfer von unten nach oben kann auch hier dazu führen, dass sie mit beiden Beinen vom Boden abhebt. Zusätzlich sehen wir jedoch, wie sich ihr vorderer Fuß Richtung Netz bewegt. Der Schwung trägt sie weit in den Platz hinein.
Ausschwung
Fernsehkommentatoren und auch einige Experten der schreibenden Zunft neigen häufig dazu, den Ausschwung zu stark zu vereinfachen. Oft höre oder lese ich Aussagen wie: "Spieler X schwingt das Racket über den Kopf aus, Spieler Y um den Körper herum." Das ist nicht falsch, aber es bildet auch nicht die ganze Wahrheit ab. Jeder Spieler hat mehrere Ausschwungvarianten. Für die Unterschiede im Aussehen des Ausschwungs sind viele Faktoren verantwortlich. Die zwei wichtigsten sind der Grad der Vorwärtsstreckung sowie die Rotation des Schlagarms ("Wiper"). Diese beiden Dinge können in schier grenzenloser Weise kombiniert werden.
Eine gute Streckung zum Ziel ist die
Voraussetzung für Länge in den Schlägen.
Die größte Vorwärtsstreckung bekommt Ivanovic typischerweise dann, wenn sie den Ball flach spielen möchte, z. B. um den Punkt mit einem Winner zu beenden. Die Streckung zum Ziel ist ein wichtiger Bestandteil jeder guten Vorhand, unabhängig vom Griff. Man übersieht das manchmal sehr leicht. Viele Kids sehen, wie die Profis den Schläger um den Körper "herumwickeln" und imitieren diese Bewegung. Sie vernachlässigen die unmittelbar vorausgehende Streckung nach vorne. Stattdessen reißen sie den Schläger nach dem Treffpunkt gewaltsam zur Seite. Dies geht zu Lasten der Geschwindigkeit und der Länge.
Ana schwingt den Schläger bei vielen
Vorhandschlägen "klassisch" über die
linke Schulter aus.
Die Wiper-Komponente ist bei Ana in der Regel relativ gering. Sie zeigt bei der Mehrzahl ihrer Vorhände den "klassischen" Ausschwung über die Schulter. Das heißt allerdings nicht, dass sie den Ball nicht auch hin und wieder etwas mehr "bürstet". Insbesondere bei tiefen Bällen, aus dem Lauf heraus und wenn sie spitze Winkel kreieren möchte, ist die Schlagarmrotation ausgeprägter. Daher kann ich nur noch einmal betonen: Den "einen" Ausschwung gibt es nicht. Das Aussehen des Ausschwungs hängt immer davon ab, welchen Schlag man beabsichtigt.
Fazit
Wir haben gesehen, dass Ana Ivanovic' Vorhand nicht in das Muster des "modernen" Schlagstils passt, sofern es den überhaupt gibt. Ihr Griff ist nicht so extrem wie der anderer Profis, ihr Ausschwung erfolgt i. d. R. über die Schulter und sie kann problemlos den Schritt nach vorne machen, um den Ball aus dem seitlichen Stand zu spielen. Gleichwohl würde niemand behaupten, dass Ivanovic' Technik unzeitgemäß ist. Tennis entwickelt sich stetig weiter. Wir haben es mit einer fortwährenden Evolution der Technik zu tun, weniger mit einer Revolution. Schwarz und weiß, gut und böse, modernes und klassisches Tennis – solche Trennungen sind sehr fragwürdig. Meistens sind sie ungenau und kontraproduktiv. Egal, ob es sich dabei um Tennis, Politik oder Religion dreht.
Damit will ich nicht sagen, dass die von den Medien als "neu" bezeichneten Schlagstile für Freizeitspieler schädlich sind. Ganz im Gegenteil. Jeder sollte aus dem offenen Stand spielen können. Für viele Wettkampfspieler ist ein extremer Stil oft eine vielversprechende Alternative. Allerdings glaube ich, dass es besser ist, Tennis zunächst mit weniger extremen Griffen und aus dem neutralen Stand zu lernen. Die Grundlagen sind auf diese Weise deutlich einfacher zu erlangen. Anschließend kann jederzeit eine Entwicklung hin zu einem extremeren Stil geschehen. Der umgekehrte Weg erscheint mir hingegen deutlich schwerer.
Ana Ivanovic' Vorhand:
Ein gutes Vorbild für Freizeitspieler.
Spindoc
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