Das 1x1 am Netz: Strategie und Taktik
Die Profis unserer Zeit kommen zumeist nur noch dann ans Netz, wenn sie spüren, dass sie ihren Gegner mit einem druckvollen Schlag gehörlich aus dem Gleichgewicht und in die Defensive gebracht haben. Die kraftvolleren und präziseren Passierschläge der aktuellen Spielergeneration, welche das Ergebnis der verbesserten Athletik und Ausrüstung sind, bestrafen jeden Angriffsball, der nicht extrem hart und platziert gespielt ist. Kommt der Gegner noch rechtzeitig und einigermaßen ausbalanciert an den Ball heran, stehen die Chancen i. d. R. schlecht für den Angreifer.
Anders sieht es bei Freizeitspielern aus. Auf Klublevel, wo bei weitem nicht so viel Power, Präzision und Topspin im Spiel sind, kannst du dein Repertoire ungemein erweitern, wenn du das Spiel am Netz beherrschst. In einem Match zweier gleich starker Grundlinienspieler kann diese Zusatzoption den Unterschied ausmachen. Auf Anregung unseres Forenfreundes Thomas DownUnder erkläre ich dir in dieser und der kommenden Woche das kleine 1x1 am Netz. Heute widmen wir uns der strategischen bzw. taktischen Seite, beim nächsten Mal besprechen wir das technische Vorgehen. Auf geht's!
Wie bauen gute Spieler ihre Punkte am Netz auf?
In diesem Thread lernen wir von den Besten der Welt.
Wo stehe ich am Netz?
Deine Position am Netz hängt davon ab, welche Art von Angriffsball (longline oder cross-court) du spielst bzw. wo sich dein Gegner befindet. Der Merksatz lautet: Bleibe immer in der gleichen Platzhälfte wie dein Gegner. Beispiel: Du befindest dich in einer Rückhand-Cross-Rally und spielst nun einen Angriffsball longline. In diesem Fall sollte deine Position etwas links von der Mittellinie sein (s. Video / Bild). Hättest du den Angriffsball cross gespielt, müsstest du eine Position leicht rechts von der Mittellinie anstreben. Diese Ausrichtung stellt sicher, dass du genau in der Mitte der beiden möglichen Passierwinkel stehst.
Thomas Johansson spielt den Angriffsball longline
und positioniert sich links der Mittellinie, um beide
Passierwinkel abzudecken.
Der Angriffsball
Da du nun weißt, wo du dich am Netz positionieren musst, stellt sich die Frage, ob es günstiger ist, longline oder cross-court anzugreifen. Die Platzauslegung macht den Longline-Angriff aus zwei Gründen vorteilhafter. Erstens: Der Weg, den du nach dem Angriffsball Richtung Netz zurücklegen musst, ist kürzer, wenn du longline angreifst. Zweitens: Die reduzierte Wegstrecke erlaubt dir, den gefährlicheren Longline-Passierwinkel deines Gegners frühzeitiger abzudecken.
Was macht den Longline-Passierschlag so gefährlich, dass du ihn auf jeden Fall abdecken musst? Überlegen wir kurz: Um dich zu passieren, muss dein Gegner den Ball etwa im Bereich der Aufschlaglinie oder leicht dahinter platzieren. Die Distanz, die der Ball zum Erreichen dieser Länge zurücklegen muss, ist longline signifikant geringer als cross-court. Dementsprechend weniger Zeit steht dir zur Verfügung, um einen Longline-Passierball zu erreichen.
Einen cross geschlagenen Passierball kannst du i. d. R. mit einem langen Ausfallschritt erreichen, da der Ball eine größere Distanz zurücklegen muss und du mehr Zeit hast. Spielt dein Gegner dennoch einen perfekten Passierball cross-court, bleibt dir nichts anderes übrig, als ihm Anerkennung zu zollen. Du hast dein Bestes getan und der gegnerische Schlag war einfach zu gut. Wichtig ist, dass du immer den kürzeren Winkel (also die Longline-Ecke) abdeckst.
Spielst du den Angriffsball cross-court, wird dein
Weg länger und dein Gegner kann die offene
Longline-Seite für einen Passierball nutzen.
Der erste Volley
Wenn sie ans Netz aufgerückt sind, machen Anfänger oft den Fehler und spielen den Volley zu früh cross-court. Dadurch öffnen sie ihrem Gegner den Platz für den Longline-Passierball. Sicherer ist es, den ersten – manchmal auch den zweiten Volley – longline zu spielen. Auf diese Weise deckst du den Platz weiterhin optimal ab und behältst die Kontrolle über den Punkt, bis sich eine Gelegenheit zum sicheren Abschluss bietet.
Der Cross-Volley ist nur dann die erste Wahl, wenn dein Gegner keine Aussicht mehr hat, den Ball zu erreichen. Kommt er hingegen noch an den Ball ran, besteht die Gefahr, dass du longline passiert wirst, wenn du dich nicht flink genug in die andere Platzhälfte bewegst. Oder dein Gegner spielt dir den Ball kurz cross in den Rücken, während du in die andere Platzhälfte unterwegs bist. Unerfahrene Spieler können oftmals der Versuchung nicht widerstehen, gleich den ersten Volley cross in den vermeintlich "offenen Court" zu spielen. Allzu oft werden sie dabei passiert oder verlieren die Kontrolle über den Punkt.
Indem er den ersten Flugball longline spielt, behält
Edberg die Kontrolle über den Punkt und kann mit
dem zweiten Volley sicher abschließen.
Die Grundregel lautet daher: Spiele den ersten Volley nur dann cross-court, wenn du einen Winner erzielen kannst bzw. dein Gegner lediglich zu einer sehr schwachen Antwort in der Lage ist. In allen anderen Fällen hat das Positionsspiel oberste Priorität. Indem du zunächst longline vollierst, verteidigst du deine Position und deckst den Platz für den nun folgenden Passierversuch deines Gegners optimal ab. Diese Vorgehensweise ist besonders wichtig, wenn du den Volley tief und / oder weiter entfernt vom Netz nehmen musst. Da du den Ball in diesem Fall anheben musst und mit nicht so viel Druck spielen kannst, ist es für dich noch schwieriger, die Kontrolle über den Ballwechsel zu behalten, wenn du cross vollierst.
Fallbeispiele
Im Folgenden wollen wir uns ansehen, welche Möglichkeiten dir offen stehen, um einen erfolgversprechenden Netzangriff zu starten. Klar ist: Je besser du deinen Angriff vorbereitest, umso höher sind deine Chancen auf einen einfachen Volley. Die Fallbeispiele sollen dir als Anregung dienen, wie du vorgehen könntest. Ob du sie in dein Spiel implementieren kannst, hängt hauptsächlich davon ab, wie gut du die entsprechenden Schläge beherrschst.
Ein probater Angriffsschlag ist beispielsweise ein hoher, lang platzierter Ball, der den Gegner zurückdrängt und ihn dazu zwingt, den Ball auf Schulterhöhe oder sogar darüber zu spielen. Dies führt oftmals zu einer schwachen Antwort in Form eines hohen Flatterballs.
Mit einem hohen, langen Ball zwingt Agassi seinen
Kontrahenten, Stefan Edberg, in die Defensive, um
anschließend am Netz zu punkten.
Sobald du spürst, dass du deinen Gegner mit einem hohen Ball in Bedrängnis gebracht hast, muss deine Vorwärtsbewegung einsetzen. Gute Spieler merken dies gewöhnlich auf der Stelle und bewegen sich explosiv zum Netz. Die ersten beiden Schritte sind hierbei kritisch. Du musst blitzschnell beschleunigen und ans Netz aufrücken, um in die richtige Position für den ersten Volley zu gelangen. Vergiss den Split-Step dabei nicht, wenn dein Gegner den Ballkontakt herstellt.
Eine Alternative zum hohen Ball ist der flache, hart geschlagene Drive in die Ecke, der den Gegenspieler nach hinten und / oder nach außen drängt. Du kannst nun entweder sofort nach vorne kommen oder du wartest noch einen Schlag und nutzt den i. d. R. kurzen Ball deines Gegners für einen Longline-Angriff. Berücksichtige, dass dir bei der Drive-Variante im Vergleich zum hohen Ball weniger Zeit zum Aufrücken zur Verfügung steht.
Federer rückt ans Netz auf, nachdem er Gonzalez
mit einer druckvollen Vorhand weit hinter die
Grundlinie gedrängt hat.
Eine dritte Möglichkeit zum Angriff ist ein Winkelschlag, der das gegnerische Feld öffnet. Ein Winkelschlag ist in meinem Verständnis ein Ball, der nach dem Aufprallen die Seitenauslinie überquert. Bedenke jedoch, dass du in diesem Fall cross-court angreifst und daher sicherstellen musst, die Longline-Seite rechtzeitig abzudecken. Winkelschläge eignen sich als Angriffsbälle am besten nach kurzen Bällen deines Gegners, da du dich bereits während des Schlags in den Platz hinein bewegst und die Distanz zum Netz nicht mehr allzu groß ist.
Ein Winkelschlag kann den Gegner überraschen
und seine Platzhälfte weit öffnen.
Vermutlich erwartet dein Gegner nicht, dass du mit einem Winkelschlag angreifst, weshalb du ihn mit diesem Spielzug eventuell überraschen kannst. Sein Feld ist nun weit offen und der anschließende Volley i. d. R. nur noch Formsache. Ebenfalls sehr überraschend kann es sein, gelegentlich auf die zweiten Aufschläge deines Gegners nach vorne zu kommen. Dadurch gibst du ihm keinen Rhythmus, auf den er sich einstellen kann. Daneben sieht er sich möglicherweise gezwungen, riskantere Aufschläge zu wagen, die seine Doppelfehlerquote erhöhen. Eine gute Länge sollten deine Returns allerdings schon haben, damit du nicht als Hasenfutter endest.
McEnroe kommt auf einen 2. Aufschlag von Sampras
nach vorne. Grundlage für den Erfolg ist ein langer Return.
Richtig interessant wird es, wenn du mehrere der angesprochenen Möglichkeiten zu einem Spielzug kombinierst. Tennis ist ein bisschen wie Schach: Den besten Offensivspielern der Geschichte ist gemein, dass sie bei ihren Entscheidungen zwei oder drei Schläge vorausdenken können. Schauen wir uns deshalb einmal ein paar Spielzüge an, die sich für die Besten der Welt bewährt haben.
Unsere Vorüberlegung ist folgende: Je weniger Zeit und Raum dein Gegner für seinen Passierschlag zur Verfügung hat, desto geringer ist die Qualität dieses Schlags und umso leichter wird dein abschließender Volley. Wenn es dir also gelingt, deinen Kontrahenten irgendwie aus der Balance zu bringen oder ihn dazu zu zwingen, den Passierball aus dem Lauf heraus zu spielen, erhöhen sich deine Chancen auf den Punktgewinn enorm. Die folgenden beiden Spielzüge sollen genau das erreichen – den Gegner zu einem gehetzten Passierschlag zwingen.
Beispiel 1: Edberg bewegt Agassi über den Platz,
sodass dieser keinen druckvollen Passierschlag
spielen kann.
Mit dem Winkelschlag in die Vorhandecke öffnet sich Edberg das Feld. Agassi wird dadurch derart weit nach außen getrieben, dass er für einen kurzen Moment sogar außerhalb des Doppelkorridors steht. Jetzt kann Edberg seinen Angriffsball in die offene Rückhandecke platzieren. Dadurch zwingt er Agassi dazu, den Ball aus vollem Lauf zu spielen. Der Passierschlag ist aufgrund der Raum- und Zeitnot des Amerikaners nicht sehr gefährlich. Der abschließende Volley stellt für Edberg kein großes Problem mehr da.
Den Gegner aus dem Platz treiben und den Angriffsball im offenen Feld unterbringen – so lautet die Strategie. Die Taktik zur Umsetzung dieser Strategie kann von Fall zu Fall variieren. Du könntest deinen Gegner beispielsweise auch mit einer kurz cross geschlagenen Rückhand nach außen drängen und anschließend über die Vorhandecke angreifen. Ebenso könntest du zunächst inside-out und anschließend inside-in spielen. Einer der beiden Schläge könnte ein flacher Drive sein oder ein Ball mit viel Topspin. Und möglicherweise präferierst du als Angriffsball auch einen Slice. Gegen jeden Kontrahenten gilt es die passende(n) Kombination(en) zu finden.
Beispiel 2: Agassi ist zu keinem gefährlichen
Passierschlag mehr fähig, weil Edberg ihn zuvor
aus der Balance gebracht hat.
Im zweiten Beispiel wählt Edberg eine etwas andere Strategie. Auch hier öffnet er sich zunächst den Platz, und zwar mit dem Aufschlag. Diesmal spielt er den Angriffsball aber nicht in die offene Ecke, sondern in den Rücken von Agassi, der sich nach dem Return aus seiner Sicht nach links orientieren muss. Damit erwischt Edberg den Amerikaner auf dem falschen Fuß. Agassi kann keinen ausbalancierten Passierball mehr spielen und Edberg hat leichtes Spiel am Netz.
Die Strategie besteht in diesem Fall darin, den Ball zweimal in dieselbe Ecke zu spielen, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, und anschließend die Richtung zu wechseln. Dabei kann der Schlag gegen die Laufrichtung wie im konkreten Beispiel der Angriffsball sein oder aber der erste Volley (s. unten). Manchmal ist dein Gegner noch in einer zu guten Position als dass du den Punkt sofort mit einem Cross-Volley beenden könntest. In diesem Fall ist der Volley gegen die Laufrichtung die beste Wahl, um deine Platzabdeckung nicht zu opfern. Außerdem hast du dadurch die Möglichkeit, für den zweiten Volley noch näher ans Netz aufzurücken.
Um Henman aus dem Gleichgewicht zu bringen, spielt
Federer den ersten Volley gegen die Laufrichtung.
Serve & Volley
Fortschritte in der Rackettechnologie sowie veränderte Platz- und Spielbedingungen haben dafür gesorgt, dass die Serve-and-Volley-Speziallisten auf der Profitour inzwischen ausgestorben sind. Nichtsdestotrotz kann die sporadische Netzattacke nach dem Aufschlag für Spieler aller Klassen ein nicht zu unterschätzendes Überraschungselement darstellen.
Durch gelegentlich eingestreutes Serve and Volley kannst du z. B. einen Gegner, der kraftvolle erste Aufschläge nur blockt, zu riskanteren Returns zwingen. Viele "Blocker" sind darauf geeicht, den Ball lang in der Platzmitte zu platzieren. Ein solcher Return dürfte dich und deinen Volley vor nicht allzu große Probleme stellen. Auch gegen Spieler, die aus einer Position weit hinter der Grundlinie returnieren, sollte ein mäßig guter Volley reichen, um den Punkt zu gewinnen.
Einen harten Körperaufschlag kann dein Gegner
oft nur in die Mitte blocken. Das ist deine Chance
auf einen einfachen Volley.
Bei wichtigen Punkten kannst du zudem großen mentalen Druck auf den Returnspieler ausüben, wenn du nach dem Aufschlag am Netz auftauchst. Plötzlich ist er gezwungen, unter Zeitnot einen präzisen Passierschlag zu spielen. Das Resultat ist selbst auf höherem Level nicht selten ein Fehler.
Entscheidend für erfolgreiches Serve and Volley ist, dass du deine Aufschläge präzise platzieren kannst, um von vornherein die Kontrolle im Punkt zu übernehmen. Eine gute Beinarbeit ist ebenso wichtig, damit du in der Lage bist, einen ausbalancierten ersten Volley zu spielen.
Präzise Aufschläge und eine gute Beinarbeit sind zwei
wichtige Faktoren für erfolgreiches Serve and Volley.
Ferner musst du die Fähigkeit entwickeln, die Returns deiner Gegner zu antizipieren. Je öfter du auf dem Platz stehst, umso leichter fällt es dir, anhand der Bewegungen und des Schwungs deiner Gegner die Bälle zu lesen. Daneben kann es hilfreich sein zu wissen, dass jeder Aufschlag einen ganz bestimmten Return begünstigt (s. hier und hier). Je besser du über die Stärken und Schwächen deines Kontrahenten Bescheid weißt, umso leichter kannst du seine Returnmuster erkennen und dich darauf einstellen.
Selbstverständlich musst du auch beim Serve und Volley das Stellungsspiel berücksichtigen. Wenn du beispielsweise von der Einstandseite nach außen aufschlägst, musst du dich leicht diagonal nach vorne bewegen, bis du links der Mittellinie angekommen bist (s. Video unten). Nur dann stehst du im Zentrum beider Passierwinkel. Servierst du hingegen durch die Mitte, bewegst du dich direkter nach vorne. Kurz: Folge immer der Richtung deines Aufschlags.
Mardy Fish folgt seinem Aufschlag nach vorne.
Bleibt noch die Frage, wie du deinen ersten Volley platzieren solltest. Die Prinzipien für den Abschluss am Netz sind die selben, wie wir sie oben besprochen haben. Wenn du der Meinung bist, einen sofortigen Winner erzielen zu können, weil dein Gegner außer Balance ist, kannst du den Ball ins offene Feld spielen. Andernfalls ist es besser, den Ball zurück zum Gegner oder in seinen Rücken zu spielen, um deinen Stellungsvorteil beizubehalten und den Platz weiter zu öffnen.
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Spindoc
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