Ein Leben ohne Roger ist möglich, aber sinnlos
Der vierte Tag der Gerry-Weber Open ist im Gange und irgendwie ist alles anders. Wo bis gestern kleine Grüppchen von Besuchern gemütlich entlangschlenderten, quetschen sich heute Scharen von Tennisfans aneinander vorbei, das Stadion ist fast bis auf den letzten Platz ausverkauft und bunte Fahnen und Fanplakate bringen Farbe in das dominante Grün des Gerry-Weber Stadions. Der Spielplan hält einiges bereit: Neben den deutschen Cracks Kohlschreiber und Haas greifen erstmals Roger Federer und Rafael Nadal ins Turniergeschehen ein. Letzterer gibt nach 4 Jahren erstmalig wieder ein Gastspiel in Deutschland.
Die Umstellung von Sand auf Rasen, sie war für Nadal alles andere als leicht. Zwar hatte der Spanier am Dienstag Nachmittag gleich nach seiner Ankunft aus Paris in Halle trainiert und am Mittwoch zusammen mit Marcel Granollers Doppel gespielt, aber das erste Einzel unter Wettkampfbedingungen ist auch für einen Ausnahmekönner wie ihn noch einmal etwas anderes.
Nadal muss kämpfen, mehr mit dem eigenen Spiel als mit Lacko, seinen slowakischen Gegner. Er ist unsicher beim Return, obwohl Lacko nicht sonderlich hart serviert, und er verschlägt eine Vielzahl von Vorhänden, obwohl ihm Zeit und Raum in Fülle zur Verfügung stehen. Seine Körpersprache gibt einen Blick auf sein Gefühlsleben preis. Nadal ist unzufrieden mit sich. Doch er trifft die richtigen Entscheidungen.
Er verfällt nicht in Panik, spielt Prozenttennis. So setzt er beispielsweise den Rückhand Slice gegen Ende des ersten Satzes häufiger ein, um länger in den Rallys zu bleiben und verwertbarere Chancen zu bekommen. Mit Erfolg. Lackos Bälle werden kürzer und mittiger. Dies ermöglicht Nadal, das Kommando in den Punkten zu übernehmen. Beim Stande von 6:5 nutzt Nadal seinen 5. Satzball und geht in Führung.
Im zweiten Satz geht es schnell. Nach nur 10 Minuten liegt Rafa bereits 3:0 in Front. Lacko gelingt es nicht, die Punkte abzuschließen und Rafa findet langsam zu seinem Spiel. Bei 5:0, 15:30 dann ein echter Nadal-Moment: Lacko spielt eine Vorhand hoch und lang auf Rafas Rückhand. Nadal ist so stark unter Bedrängnis, dass er den Schlag mit dem Rücken zum Gegner und einhändig ausführen muss. Lacko spielt jetzt einen Winkel in Nadals offene Vorhandecke, doch Nadal erläuft den Ball nicht nur, er findet auch noch genügend Balance und Verstand, um Lacko longline zu passieren. Das Stadion bebt! Wenig später macht Nadal den Sack zu: 7/5, 6/1.
Roger Federer kritzelte seine zwei Buchstaben gut gelaunt auf alles,
was ihm seine Anhänger reichten.
Nach dem Match brauchen viele Zuschauer erst einmal eine Pause. Doch der nächste Superstar hat die Arena bereits betreten: Rekordsieger Roger Federer beginnt seine Titelmission beim Jubiläumsturnier gegen Florian Mayer. Federer, der bereits seit Sonntag in Halle ist und zu Wochenbeginn die "Roger-Federer-Allee" vor dem Stadion offiziell eingeweiht hat, geht routiniert ans Werk. Der Aufschlag kommt bereits sehr verlässlich. Auf Rasen immer beruhigend zu wissen.
Doch auch Florian Mayer, der gegen Roger noch nie einen Satz gewonnen hat, verkauft sich ordentlich. Das Tempo ist hoch. Immer wieder gibt es intensive Rückhand-Duelle. Mayer ist durchaus imstande, Rogers Vorhandseite zu öffnen. Aber seine Schläge beim Richtungswechsel sind leider oft nicht zwingend, sodass er viele gut herausgespielte Punkte nicht zumachen kann. Was gegen viele andere Spieler reicht, erweist sich gegen Roger, der seine Vorhand auch aus dem Lauf heraus noch druckvoll spielen kann, als nicht gut genug. Es bleibt ihm nur der Trost, über weite Strecken mit Federer mitgehalten zu haben. 6:4, 7:5 lautet der Endstand.
Draußen vor dem Stadion drängen sich die Kids zu diesem Zeitpunkt bereits in Siebenerreihen, um ein Foto oder ein Autogramm von ihrem Helden zu erhaschen. Der lässt lange auf sich warten, erfüllt die Wünsche seiner Fans dann aber umso freundlicher und bei größter Geduld. Ein paar ältere Semester finden sich auch darunter. Eine Frau, die es schaffte, dem Maestro die Hand zu schütteln, gerät derart in Ekstase, als sie ihrer Freundin davon berichtet, dass man meinen könnte, sie hätte einen Heiligen berührt. Wie hätte Loriot dazu gesagt: Ein Leben ohne Roger ist möglich, aber sinnlos.
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