Ein Hallelujah der einhändigen Rückhand
Für Tennisästheten wie mich, die den Rückzug der einhändigen Rückhand beklagen, ist dieses Halbfinale der 20. Gerry-Weber Open ein echter Feiertag. Youzhny, Federer, Haas und Kohlschreiber – vier der besten Einhänder der Welt machen den Titel bei Deutschlands einzigem Rasenturnier dieses Jahr unter sich aus. Hallelujah!
Federer - Youzhny
Los geht's mit Federer und Youzhny. Von letzterem bin ich in dieser Woche ein kleiner Fan geworden. Irrsinniges Talent, denke ich immer wieder, wenn er einen Ballwechsel traumhaft herausspielt – warum hat der nicht mehr gewonnen in seinen inzwischen 13 Jahren auf der Tour?
Gegen Roger misslingt ihm leider schon sein zweites Aufschlagspiel, sodass Federer 3:1 davonziehen kann. Der Schweizer hat Mühe, das Break anschließend zu bestätigen, behält die Nase aber vorn. Youzhny muss seine Rückhand entweder lang an die Grundlinie oder mit viel Winkel nach außen spielen, um Roger davon abzuhalten, in die Inside-Position zu gelangen und Druck zu machen. Gelingt ihm leider zu selten. Je länger der Punkt dauert, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass Federer einen verwertbaren Ball bekommt. Nach nur 21 Minuten steht es 6:1.
Der Maestro schlägt wie schon in den letzten Tagen souverän auf und bewegt sich gut auf dem noch verbliebenem Rasen. Serve and Volley streut er nur sporadisch ein, ihm geht es offenbar eher darum, von der Grundlinie in den Rhythmus für Wimbledon zu kommen. Vielleicht wären Youzhnys Erfolgschancen größer gewesen, wenn er dem eine etwas offensivere Strategie entgegengesetzt hätte. So aber ändert sich nicht viel im zweiten Satz. Federer passiert Youzhny longline mit einer Vorhand aus dem Lauf, nachdem dieser den Ball nicht nah genug an die Seitenlinie rangespielt hat – Break zum 3:2.
Roger lässt nicht nach und holt sich auch Youzhnys darauffolgendes Aufschlagspiel. Lediglich bei 5:2 leistet sich der Schweizer einen kleinen Lapsus. Zwei einfache Vor- und Rückhandfehler sowie ein Rahmentreffer aufgrund eines Platzfehlers gleichen ein Break wieder aus. Als Youzhny bei 3:5 gegen den Matchverlust serviert, blitzt sein Können in diesem Halbfinale erstmals richtig auf. Mit roher Gewalt stellt er Rogers Rückhand solange unter Beschuss, bis diesem ein Fehler unterläuft. Noch einmal Jubel seitens der Zuschauer, denen dieses Match viel zu schnell geht. Doch Youzhnys Gegenwehr kommt leider zu spät. Nach exakt einer Stunde Spielzeit beendet Roger seinen Arbeitstag mit 6:1 und 6:4.
Zieht die Rückhand voll durch im Halbfinale gegen Kohli: Tommy Haas.
Kohlschreiber - Haas
Nach einer kurzen Pause betreten Philipp Kohlschreiber und Tommy Haas den Platz. Beide müssen vor Selbstbewusstsein strotzen, denke ich, nachdem sie gestern für alle überraschend Rafael Nadal und Tomas Berdych aus dem Turnier eliminiert haben. Die zwei bisherigen Begegnungen der beiden fanden hier in Halle statt, in beiden Matches fiel die Entscheidung erst im Tie-Break des dritten Satzes.
Auch diesmal ist es eng. Beide schlagen sicher und variantenreich auf. Der Mix aus Topspin und Sidespin macht es für keinen der beiden leicht, die Aufschläge des jeweils anderen zu returnieren. Tie-Break: Ein Netzroller und ein Vorhandfehler von Haas bringen Kohlschreiber zwei Mini-Breaks in Front. Doch Haas gibt nicht klein bei, riskiert was und gleicht den Rückstand mit zwei erstklassigen Rückhand-Returns die Linie entlang wieder aus. Er zeigt, "dass er in wichtigen Momenten Eier hat", wie Kohli es nachher formulieren wird.
Das Momentum ist jetzt bei Haas, dem zudem die Sympathien der Zuschauer zufliegen. Immer wieder gibt es Tommy-Rufe aus dem Publikum, welches spürt, dass dies vielleicht der letzte große Lauf von Haas in Halle sein könnte. Bei 4:4 gelingt es Kohlschreiber noch, zwei Breakbälle couragiert abzuwehren, doch der mentale Härtetest folgt bei 5:5, 40:40.
Da es leicht zu regnen beginnt, muss das Dach des Center Courts geschlossen werden. Aus den Lautsprechern trällert Rudi Carrell "Wann wird’s mal wieder richtig Sommer". Für einen Moment möchte ich dem Tontechniker, der dies zu verantworten hat und nur ein paar Reihen unter mir sitzt, an die Gurgel. Eine derartige Störung bei diesem Spielstand führt leicht zu einem Konzentrationsverlust, denke ich. Und so kommt es. Kohlschreiber gibt sein Service-Game ab, Haas hält seinen Aufschlag zu Null und gewinnt somit 7:6 und 7:5.
Respekt an Tommy Haas. Es macht Spaß, ihn in dieser Form spielen zu sehen. Noch immer ist er einer der technisch ansehnlichsten Spieler auf der Tour. Seine Rückhand longline kommt mit traumwandlerischer Sicherheit in dieser Woche von Halle, sein Aufschlag ist effektiv, und seine aggressive Spielweise ist einfach eine Augenweide auf Rasen. Ich erwarte ein enges Match morgen, wenngleich Roger in den wichtigen Momenten mental sicher nicht so leicht einknickt wie Berdych und Kohlschreiber dies getan haben. Auf geht's für ein letztes Hallelujah!
Spindoc